splace am Hauptplatz, Hauptplatz 6, 4020 Linz
Vernissage: 24.09.2021, 19.00 Uhr
Begrüßung: Brigitte Hütter, Rektorin Kunstuniversität Linz
Postverleihung des forum Stipendiums 2020: Jutta Rinner, Vorstandsdirektorin LINZ AG
Eröffnung: Thomas Raab, Schriftsteller und Übersetzer
Eröffnungstusch: Clemens Denk, Jonas Geise, Philipp Hanich
Ausstellungsdauer: 25.09. bis 05.10.2021
Öffnungszeiten:
Sa, 25.09.2021, 15.00 bis 21.00 Uhr
Di, 28.09.2021, 15.00 bis 18.00 Uhr
Mi, 29.09.2021, 15.00 bis 18.00 Uhr
Do, 30.09.2021, 15.00 bis 18.00 Uhr
Fr, 01.10.2021, 15.00 bis 18.00 Uhr
Mo, 04.10.2021, 11.00 bis 16.00 Uhr
Di, 05.10.2021, 13.00 bis 17.00 Uhr
"Auf der Wiese steht ein Eis, das eigentlich ein Block ist, der eigentlich eine Skulptur ist usf. Malerei kommt im Video zurück, und aus Zeichnung wird ein Lied, eine Stromrechnung gibt’s als Radierung, aus kommunistischer Architektur wird Malerei – und zurück. BumZack und alles, vieles nicht, magst du ein Bier, ich bleib zuhause, Kino ein anderes Mal, c d e f g aha c, Sehnsucht, bestimmt 20 Schritte, immerhin dokumentiert: Sessel, die durch die Luft fliegen, Alpe d`Huez, Bergankunft und dann Malerei denken."
Die Arbeit von Andrea Lüth ist multifunktional, vielgestaltig und anschlussfähig. Sie ist prozessorientiert und adaptiv, das Werk ist der vorübergehenden Erscheinung gleichgesetzt, Rezeption und Produktion greifen ineinander wie Institution und Notizblock, Atelier und Marktplatz. Vereinfacht könnte man sagen: „Wer schaut was unter welchen Bedingungen und mit welcher Absicht wo an, wer will, dass das geschieht und wer bezahlt?“
Mit freundlicher Unterstützung durch die LINZ AG
1. Geht man davon aus, dass der rohe Kreativprozess, der jeder Kunst welcher Form immer, vorausgeht, niemals fertige Einsichten und damit fertige Formen liefert, so ist jede Kunst wie jede Art des Wissens, und zwar immer schon, zweiflerisch und fragmentarisch gewesen. Kunst heißt Zielen auf ein unsichtbares Ziel.
2. Einsichten werden erlebt und auch der künstlerische Einfall wirkt erhellend, obwohl er nichts erhellt. Wir bringen uns, durch Konzentration auf ein Problem, das immer in eine weitere Problematik eingebettet ist, die ihrerseits wenigstens an ihren Rändern immer ins unbewusst Biologische, Instinktive, Intuitive ausragt, zum plötzlichen Drang, etwas sagen, zeichnen, ausdrücken usw. zu können.
3. Besser statt „ausragen“ wäre wohl „einragen“, denn für Kunstschaffende ist es immer das, was sie an einem Problem nicht verstehen, das kraft seiner magischen, d.h. unberechenbaren Wirkung fasziniert. Dies freilich birgt auch psychische Risiken wie die Melancholie, die temporäre Hybris, die Kunstsucht etc., die WissenschaftlerInnen oft lange erspart bleiben.
4. Andrea Lüths so schnell aufblitzende wie hingeworfene Gedankenfragmente verrätseln, weil, sowohl mal- und zeichentechnisch als auch gedanklich, die Beziehung zwischen Hintergrund und Vordergrund unklar bleibt. Ein malerischer Hintergrund wird tapeziert und verlangt dann wieder einen grafischen Vordergrund, obschon der eigentliche Gedanke des Werks im Hintergrund bereits aufgeht. So verströmen fast alle Bilder eine Atmosphäre des Geistesblitzes oder zumindest originellen Einfalls, die durch die künstlerische Ausführung danach wieder in Frage gestellt werden, weil das Gewicht der Formtradition, der Avantgarde, ja kurz: das Gewicht der Kunst zu schwer wiegt, um dem lockeren Einfall zu entsprechen.
5. Das Schöne daran scheint mir die Melancholie, die selbst aus den witzigsten, ins Groteske, Halbfertige oder in den Slapstick spielenden Werken spricht. Der „Genius“ taucht kurz auf, als Einfall eben, dämonisch – doch da! die Mittel "gehen nicht mehr" und sind als solche nur noch zu Kommentaren auf die Kunstgeschichte gut. Lüth zweifelt nicht nur am Zweifel, sondern am Zweifel am Zweifel.
6. Dieser Triple-Zweifel liegt doppelt quer zum Zeitgeist des Kunstbetriebs, in dem jede/r per Definition immergenial ist. Und, was die Mehrzahl der Kunstschaffenden betrifft, stimmt’s ja. Fast alle wähnen sich oder sind, allein durch die immer weiter perfektionierte Kunstdidaktik, aber auch durch immer bessere Autodidaktik der Youtube-Lehrgänge und der, ja, Gewöhnung an den „radical chic“ in sozialen Medien wie Instagram, zweifellos in den künstlerischen Mitteln gewandt. Alle sind vorn.
7. So freut es mich, dass Andrea Lüth sich durch ihren Triple-Zweifel, wenn schon nicht ihrem Genius, dann doch ihrer Intuition, was die Bildidee betrifft, hingeben kann. Die Bildausführung bleibt dabei provisorisch, vage, zögerlich, fragmentarisch, assoziativ.
8. Daran, meine ich, erkennt man jede aktuelle Kunst, die den Geschmack des Publikums aus nichtkünstlerischen Berufen (und auch mich!) noch verunsichern und also berühren kann. Wir leben in einer Zeit, in der die äußerliche Kontrolle durch die Bürokratie längst internalisiert und als Optimierungsstrategien (je nach Milieu verschieden) umgesetzt wird. Gerade in der Überflussgesellschaft sind wir angehalten, auch als Kunstschaffende, dies oder jenes zu machen, um dies oder jenes zu „erreichen“. Diese Art der Kontrolle, die in der Kunst entweder als Moral (Über-Ich-Kunst wie politische Konzeptkunst, Performance-Aktivismus im Dienste einzelner Identitätsgruppen) oder als kunsthistorische Übervorsicht („wurde das nicht schon gemacht?“) ausformt, wird auch bei Andrea Lüth immer wieder durch lustvolle oder triebhafte innerliche Durchbrüche durchkreuzt, die freilich durch Zweifel gleich wieder eingefangen werden. Lüth zeigt so kurz, wohin sie tendiert und was sie machen könnte, dass man es ihr nicht als zu „originell“ übelnehmen und vorwerfen könnte. Damit ist sie nicht allein. Kunst wie jene von Gelitin im Aktions-Genre, Mary Heilmann und Walter Swennen in der Malerei oder Kris Lemsalu in der Gesamtkunsttradition sind Zeugen dieses Wechselspiels zwischen Ekstase und Kontrolle, das für den Außenstehenden oft wirr wirkt, im Kern jedoch das Pendeln unserer aller kontrollierter Psychen zwischen kontrollierter Triebabfuhr und triebhafter Kontrolle besser darstellt als „schlüssige“ und „eindeutige“ Kunstwerke.
9. Dieses neue „Schweben“ zwischen Revolte und Angepasstheit wird wohl bis zum endgültigen Verglühen der bürgerlichen Herrschaftsform nicht nur die Kunst sondern auch das Lebensgefühl jener bestimmen, die schon in die nächste geschichtliche (politische) Ära streben, es aber bisher nur im Spielraum der Kunst dürfen.
10. So gesehen betrauert Lüth – wie ich! – nur noch aus sentimentalen Gründen die Auflösung der Kunstgeschichte im Google-Suchalgorithmus. Ihr Zweifel ist Ausdruck der innerlichen Arbeit an Merkmalen einer neuen unbürgerlichen Kunstgeschichte – der Kunstgeschichte unserer Nachfahren, zu der wir leider zählen wollen.
September 2021