Galerie WHA, Domgasse 1, 4020 Linz
Eröffnung: 10.11.2022, 19.00 Uhr
Begrüßung: Gitti Vasicek, Vizerektorin Kunstuniversität Linz
Einführung: Siegfried A. Fruhauf, Filmemacher
Viktoria Schmid arbeitet an der Schnittstelle von Kino und Ausstellungsraum. Die von ihr verwendeten Medien Film, Video, Skulptur und Fotografie fungieren dabei als Co-Autoren und formen mit ihren mediumspezifischen Eigenschaften ihre Arbeiten. Wichtig ist es für Schmid, auf die speziellen Bedingungen des Kino-, Ausstellungs- und öffentlichen Raumes einzugehen, um ihre räumlichen, technischen und sozialen Bedingungen zu reflektieren. Das Spiel mit historischen Bildverfahren, das Potential der Abbildung von Landschaft und Natur sowie historische Entwicklungen in der Filmgeschichte sind ihre Themen. Viktoria Schmid denkt mit ihren Arbeiten über Wahrnehmung nach und beeinflusst somit auch die Alltagswahrnehmung der ZuseherInnen.
Öffnungszeiten:
11.11.2022, 15.00 bis 18.00 Uhr
14.11. bis 18.11.2022
jeweils 15.00 bis 18.00 Uhr
Für das Licht selbst gibt es keine Zeit. Das mag wie eine rein poetische Formulierung klingen, ist aber eine wissenschaftliche Feststellung. Vielleicht haftet dem Licht deshalb etwas Flüchtiges an. Sobald man den Schalter umlegt, ist es verschwunden, mit Lichtgeschwindigkeit macht es sich aus dem Staub, das Licht. Aber das Licht hat auch etwas von Dauer. Wenn ein Stern am Rande unseres Universums explodiert, sehen wir das Licht erst Millionen Jahre später. Der Stern existiert nicht mehr, sein Licht erreicht uns als Schein aus längst vergangener Zeit. Und dann gibt es noch die erstaunliche Erfahrung, dass Licht - obwohl es selbst nicht sichtbar ist - alles sichtbar werden lässt. Es füllt den Raum, ist da. Es bringt nicht sich selbst zum Vorschein, sondern vielmehr die Materie, an der es sich bricht, die Oberflächen, von denen es reflektiert oder absorbiert wird. Wir glauben, Objekte zu sehen, doch was genau unser Auge erreicht, ist wissenschaftlich nicht endgültig geklärt. Vielleicht sind es geisterhafte Fernwirkungen, wie Albert Einstein es formulierte. In seiner Rätselhaftigkeit ist und bleibt das Licht ein wunderbar philosophisches Thema.
Diese, nur kurz angedeuteten, das Licht betreffende Phänomene, sind überall anzutreffen und begleiten uns ständig, ohne uns dabei zu vereinnahmen. Es ist anzunehmen, dass wir wegen dieser Allgegenwärtigkeit das Offensichtliche übersehen. Wir bemerken das Erstaunliche im Alltäglichen nicht mehr. Das ist der Stoff, mit dem sich die Künstlerin Viktoria Schmid beschäftigt. Viktoria Schmid gelingt es, den Verschränkungen von Licht und Zeit das ihnen gebührende Faszinationspotential zu entlocken.
Sie macht die Spuren von Licht sichtbar und zum Keimpunkt ihrer Auseinandersetzung mit Zeit und Raum. Wo wir dem Spiel von Licht und Schatten in unsere Wahrnehmung nur mehr nebensächliche Aufmerksamkeit schenken, dort gelingt es ihr, mit bestechender Reduktion, den Fokus zurück auf diese Erscheinungen zu lenken.
So ist es ein einfacher Vorhang, eine Gardine, die bei ihr zu einer Leinwand für ganz großes Kino wird. Ein Atelier Stipendium des Bundesministeriums führte Viktoria nach New York. Im Wohnatelier in der 17ten Straße (270 West 17th Street) entstand ein „Vorhang für Regentage“. Die Künstlerin fixierte auf diesem Vorhang die Erscheinungen von Licht und Schatten, wie sie sich zu einer bestimmten Tageszeit darauf abgezeichnet haben. Wenn man in Betracht zieht, dass das von außen eindringende Licht und die daraus resultierenden Schatten, am nächsten Tag zur selben Uhrzeit, oder vielleicht auch erst in einem Jahr zur gleichen Tageszeit, mit der festgehaltenen Lichtzeichnung auf dem Vorhang wieder deckungsgleich sind, dann geht es dabei nicht nur um das Einfrieren eines Momentes. Es spiegeln sich darin filmische Elemente, die in der Arbeit der Künstlerin einen wesentlichen Stellenwert einnehmen. Wiederholung und Differenz, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, sind ebenso wiederkehrende Interessen der Künstlerin. Über den Titel funktioniert der „Vorhang für Regentage“ auch als Erinnerungsträger an besseres Wetter und sonnigere Tage, vielleicht auch im übertragenen Sinne. Die Gardine, welche in ihrer Funktion bei störender Helligkeit auch Licht von außen abhalten soll, wird zur Leinwand für ein imaginäres Außen, in dem immer die Sonne scheint.
Über ein imaginäres Außen und den Objektcharakter des Vorhangs zeichnet sich eine Auseinandersetzung mit dem Raum an sich ab. Das vermittelt einen Eindruck davon, wie Viktoria Schmid die Umgebung, in der sie sich gerade befindet, immer sehr genau wahrnimmt, verschränkt und in ihr Metier von abstrakten Cyanotypien und filmischen Aufnahmen übersetzt. Bei den Untersuchungen von Räumen in ihren zeitlichen Verankerungen sucht Viktoria Schmid nicht das Aufdringliche und Spektakuläre. Sie interessiert sich in ihren fotografischen Arbeiten für den Raum, in dem sie lebt und arbeitet. Das kann die vertraute eigene Wohnung in Wien sein oder das zunächst unbekannte Atelier am Ort einer ihrer zahlreichen Residencies. Die dabei entstehenden Zeitbilder schärfen die Alltagswahrnehmung und verändern den Blick auf den vertrauten Raum, wodurch er etwas aufregend Fremdes und Neues bekommen kann. Umgekehrt kann die fotografische Erforschung des fremden Raumes dazu dienen, in eine Umgebung Vertrauen zu gewinnen.
Unausweichlich macht die Arbeit von Viktoria Schmid bewusst, dass ein Raum zu unterschiedlichen Zeiten immer ein anderer Raum ist, ein Zeit-Raum also. Besonders eindringlich stellt sich das in der Serie „time flies“ dar. Wir sehen den immer gleichen Ausschnitt eines Raumes, ein Detail, das in gewissen Zeitabständen in aufeinanderfolgenden Frames festgehalten wird. Die Unterschiede in den Einzelbildern geben Preis, wie die Zeit über das Licht den Raum ständig neu definiert. Somit erfüllt diese Arbeit auch grundlegend filmische Prämissen, die das Gesamtwerk der Künstlerin prägen.
Für die fotografischen Kunstwerke ist die Cyanotypie die von der Künstlerin bevorzugte und perfektionierte Technik. Es handelt sich um ein historisches fotochemisches Verfahren, das den Vorteil hat, dass man mit dem lichtempfindlichen Bildträger bei normalem Kunstlicht arbeiten kann und keine Dunkelkammer benötigt. Erst die ultraviolette Strahlung im Tageslicht führt zu einer Reaktion. Je nach Intensität werden die Spuren des Lichts mehr oder weniger dunkelblau gefärbt und der Schatten bleibt weiß. Nicht nur dieser Prozess der Umkehrung ins Negativbild zeigt ein Phantombild der in Ausschnitte und Zeitsegmente zerlegten Umgebung. Ultraviolettes Licht besitzt eine Wellenlänge, die das menschliche Auge nicht sehen kann. Auch dadurch werden die ohne Kamera erstellten Fotogramme zu Phantombildern eines Raumes.
Die analoge historische Fototechnik ist dabei nie in erster Linie eine ästhetische Entscheidung. Die analoge Bildapparatur gibt andere Vorgaben als eine digitale und führt darüber hinaus zu anderen künstlerischen Überlegungen. Die Werke von Viktoria Schmid haben zweifellos sinnliche Qualität, aber noch entscheidender ist, dass die von ihr verwendeten Verfahren ihren Gedankenmodellen bestmöglich entsprechen. Die Arbeiten scheinen aus der Technik heraus gedacht.
So verhält es sich auch bei der Arbeit „Rota/Nida (RGB)“. Die Praxis im Umgang mit analogem 16 mm Film ist Grundlage für dieses Werk. Gedreht wurde während Residencies in Spanien und Litauen. Die Aufnahmen fand im Außenraum statt. Der Blick konzentriert sich auf die Landschaft, dort wo Wind und Wetter das Zeitgeschehen bestimmen. Der Filmstreifen wurde dreimal durch die Kamera geschickt, um bei jedem Durchlauf mit einem anderen Farbfilter das Material zu belichten. Zuerst rot, grün, dann blau. Diese Methode nimmt Anleihen bei historischen Farbfilmverfahren und entspricht einer Separation von Farbe durch die Fotorezeptoren im Auge. Die zeitlich versetzte Aufnahme der Farbauszüge generiert in der Kondensation auf einem einzigen Filmstreifen Perzeptionsmuster, die über ein menschliches Zeiterleben hinaus gehen. Die Einheit unterschiedlicher Zeitlichkeiten, die am Film an einem bestimmten Ort entstanden ist und im Nachhinein nicht manipuliert wurde, steht durch die Zeit des Filmens und nicht nur über die daraus resultierende filmische Zeit mit dem Ort der Genese in direkter Verbindung. Was in den farblichen Überlagerungen, beziehungsweise in den Wiederholungen und den daraus resultierenden Differenzen sichtbar wird, feiert den vergangenen Moment in seiner Einzigartigkeit. Viktoria Schmid gelingt es, in der filmischen Reproduktion zu demonstrieren, dass jeder Augenblick vorher nie dagewesen ist und auch nie wiederkehren wird.
Im Sammeln von Schatten, in denen sich Zeit und Raum manifestieren, hat Viktoria Schmid ein reichhaltiges Repertoire entwickelt, das zu ihrer künstlerischen Identität geworden ist. Zu ihrer künstlerischen Identität gehören auch die Fotogramme aus der Serie „WerkZeugen“. Es sind Schatten von Apparaten und Gegenständen, wiederum auf Basis der Cyanotypie, die für ihre persönliche künstlerische Produktion unbedingt notwendig sind. Sie selbst hat diese Arbeiten in einem Gespräch als eine Art Packliste bezeichnet, welche sämtliche Dinge versammelt, die sie auf ihre Reisen mitnehmen will. Eine Liste von Werkzeugen, mit denen sie ihre charakteristischen Zeit-Räume erschafft.